Evanglisch - Lutherisches Pfarramt Oberweid

Kirchengemeinde Oberweid

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 vertreten durch: Pfarramt Frankenheim, Pfr. Alfred Spekker,
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Die Kirchgemeinde Oberweid
   
Wenn man über Kirche in einem Ort spricht, dann hat das oft Auswirkungen, die weit in die Gründungszeit des Dorfes hineinreichen. So ist es auch in Oberweid.
Um 795 wird in einer Schenkungsurkunde an das Stift des Klosters Fulda das Weidtal mit einer Ansiedlung (Bifang—Neurodung) erwähnt. Ob es sich  nun im Standort das heutige Dorf Oberweid handelt, können wir nur vermuten. Falls es dennoch so sein sollte, können wir davon ausgehen, dass damit auch das Kloster Fulda die seelsorgerliche Betreuung der Bevölkerung des geschenkten Gebietes übernahm und somit eine Kirchgemeinde entstand. Um sich nun zu versammeln, brauchte man aber auch einen gottesdienstlichen Raum. Ob in dieser Zeit eine kleine Holzkirche (Pfahlkirche) hier entstand, können wir nur erahnen. Wie auch immer, die Anbindung an das Kloster Fulda schaffte eine engere Beziehung zur Kirche. Das zeigen auch die weiteren Schenkungen Adeliger an das Stift (824, 827, 842 n. Chr.). Über kirchliches Leben und Bräuche haben wir über das ganze Mittelalter hinweg keine Informationen.

Erst im ausgehenden 15. Jahrhundert hinein in die Reformationszeit werden  Konturen kirchlicher Aktivitäten in Oberweid wieder sichtbar. Das zeigt sich vor allem am Kirchenbau von "Sankt Michael" selbst.  An der Außenseite des Kirchturms über dem Christusfenster findet sich die Jahreszahl 1576 —1607 hat eine Vergrößerung der Kirche stattgefunden. In der Kirche finden sich Weihekreuze (15. Jh.), die auf katholische Zeit zurückgehen. Leider wissen wir nicht, aus welchem Grund diese verhältnismäßig großen Kreuze (wahrscheinlich waren es einmal 7 oder 12) in unserer Kirche sind. Der Taufstein zeigt das Jahr 1551 mit dem Wappen der Henneberger Grafen. Es dokumentiert die Einigung über Vogtei- und Pfarrechte zwischen den Herren von der Tann und Henneberg im Jahr 1545. Weiterhin ist auf der Kanzel das Jahr 1601 zu lesen.
Im Jahre 1544 tritt der Graf Georg Ernst von Henneberg zur protestantischen Konfession lutherischer Prägung über. Damit wird auch Oberweid lutherisch. Die Kirchgemeinde ist zu diesem Zeitpunkt eine Filiale des Pfarramts KaItenwestheim.

Als im ausgehenden 16. Jahrhundert die Rekatholisierung durch den Fürstabt Balthasar von Dermbach aus Fulda immer drückender betrieben wird, entschließt man sich im Jahr 1612 in Oberweid ein eigenständiges Pfarramt einzurichten. Der erste Pfarrer hieß Valentin Henno und hatte das Amt bis 1625 inne. Im Jahre 1614 vergrößerte sich das Pfarramt um das Filial Unterweid und 1657 wurden auch noch Frankenheim und Birx hinzugeschlagen.

In der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts ging auch über Oberweid der Kriegsteufel des 30- jährigen Krieges. In der Chronik finden wir ein Stück Geschichte. Der 5. Pfarrer Johann Georg Kriegk vergrub während des Krieges die Kirchbücher im Keller und „floh mit seiner Familie (er war gebürtiger Meininger) in die Meininger Wälder (wahrscheinlich folgte ihm auch ein großer Teil der Oberweider). Nach seiner Rückkehr nach Oberweid grassierte die Pest (er verlor Frau und Kinder, ein Pestmassengrab befindet sich wahrscheinlich hinter der Nordseite der Kirche). Im Jahr 1652 wurde er von einer Hexe „zu todt gemartert“. Sein Grab befindet sich vor dem Altar, die barocke Grabplatte wurde aber auf der rechten Seite neben dem Altar später umgesetzt und in die Wand eingemauert. Man wollte dem „Abtritt“ des Sandsteins entgegen wirken.
Die Menschen in Oberweid hatten unter dem Krieg wie überall zu leiden. So finden wir in einem
Klagebrief der Bevölkerung an die fürstliche Regierung in Schmalkalden vom 4. März 1637: „Nicht allein den armen Leuten all das Ihrige, was sie etwa noch an Eckern, Leinkuchen, Habern und Kleienbrot zur Rettung des Hungers übrig gehabt, entwendet (gemeint sind die einquartierten Besatzungssoldaten), die Häuser zerschlagen und verwüstet, sondern auch zu Oberweid die Kirchen und Pfarrhof rein ausgeplündert“.
In den Jahren nach dem Krieg blieb das Leben unsicher. Die Kirche bot mit ihrer Botschaft die einzige Möglichkeit zum Trost und neuem Mut. Aber die Hexenprozesse überschatteten in den kommenden Jahren auch Oberweid. Diese wahnwitzigen  Schauprozesse der Obrigkeit lebten von Denunziation. Die Kirche schritt leider nicht ein.

Aber nicht nur schwere und traurige Dinge sind zu berichten, nein, es gab auch manches zu schmunzeln. Der Aberglaube machte den Pfarrern die Arbeit nicht immer leicht. So wird von einem Pfarrer in Oberweid berichtet, der sich bemühte, einem Schwindler das Handwerk zu legen. In Oberweid gab es nämlich einen Schuster, der sich für einen Mann mit überirdischen Kräften ausgab und die Leute „heilte“. Von weit her eilten sie herbei. Der Schuster ließ sich als "Urinseher" achten und ehren. Der Pfarrer nun wollte ihn des Schwindels überführen. Er schickte seinen Knecht mit gefärbtem Urin zum Kurpfuscher und wies ihn an, niemand zu sagen, von wem der Urin stamme. Wie üblich wurde der Knecht an der Tür des Schusters in Empfang genommen und von der Frau ausgefragt. Weil der Abgesandte des Pfarrers hartnäckig schwieg, kam der Schuster, der hinter der Tür lauschte in arge Bedrängnis. Er konnte bei der Untersuchung nur phantasieren und gab lauter Unsinn von sich, so dass der Knecht und später auch alle anderer Bewohner des Dorfes sich herrlich amüsierten. Der Schuster aber war blamiert und musste auf seine bequeme Einnahme verzichten.

Im 18. und 19. Jahrhundert bekam die Kirchgemeinde viele besondere caritative Aufgaben, die landesfürstlich organisiert und in Oberweid durchgesetzt wurden. So wurde eine Verordnung zur Hundesteuer im Jahr 1791 geltend gemacht, die „künftig von entbehrlichen Hunden“ erhoben wurden. Diese Gelder wurden aber nicht dem Staatshaushalt  zugeführt, sondern für die Armenpflege des Ortes zur Verfügung gestellt. Im Schulwesen nahm die Kirche auch hier in Oberweid ihre Aufsichtspflicht und Förderung wahr. Ende des 18. Jahrhunderts wurden Lesegesellschaften gegründet,  die biblische Literatur weiterverbreiteten und gleichzeitig den Bildungsstand der Oberweider Bevölkerung erweiterten.
Das 19. Jahrhundert brachte für unseren Ort eine rege Schulbildungs- und Vereinentwicklung. Um 1827 kümmerte man sich vor allem um die Jugend, die so genannten „Spinnstuben“ kamen auf. „Um den, in sämtlichen Amtsorten eingeführten Spinnstuben eine zweckmäßigere Einrichtung zu geben und solche in Beziehung auf Sittlichkeit unschädlicher zu machen, ist  nach eingeholten Gutachten sämtlichen Herrn Geistlichen hießiger Diozözes folgendes darüber verordnen für nötig und zweckdienlich erachtet worden.
1) Im allgemeinen ist den jungen Leuten männlichen und weiblichen Geschlechts erlaubt, zusammen in Gesellschaften der so genannten Spinn- und Spielstuben zu gehen, die jungen Burschen aber müssen wenigstens 16 Jahre alt und die Mädchen aus der Schule entlassen sein.
2) Nur in einem solchen Hause, welches von einem Ehepaar bewohnt wird, gegen dessen sittliches Verhalten keine Bedenken vorliegt, darf eine Spinn- und Spielstube gehalten werden, und der Hausbesitzer muss sich beim Herrn Geistlichen und Schultheißen des Ortes verbindlich zu machen, über die Gesellschaft in seinem Haus strenge Aufsicht zu führen, …“  So ein Auszug aus einer Verordnung. In Oberweid entwickelte sich eine rege „Spinnstubentradition“, die über 100 Jahre fest zum Dorfleben gehörte.
Im Laufe der Jahre des vergangenen Jahrhunderts gab es viele kirchliche Aktivitäten, die der Entwicklung des Dorfes Oberweid dienten. So wird uns aus dem Jahr 1839 berichtet, dass das Pfarramt sich sehr um die Obstbauförderung im Orte bemühte um die Ernährungsgrundlage der Bevölkerung zu verbessern. Um das Jahr 1855 wurden Strick- und Nähkurse angeboten. 1879 bekam Oberweid eine Industrieschule (Berufsbildende Schule), die vom Pfarramt her geleitet wurde. Und schließlich 1908 richtete man eine Koch- und Haushaltsschule ein. Dafür und für eine diakonische Schwesternstation, Kinderbewahranstalt (Kindergarten), Volksbad, Konfirmandenraum  und Gemeindesaal war ein Evangelisches Gemeindehaus geplant. Leider ist es nie zur Realität geworden.
Anfang unseres Jahrhunderts bemühte sich ein evangelischer Frauenverein um die Armen- und Krankenpflege, Gemeinde- und Kinderpflege. Auch dem Ansteigen des Alkoholmißbrauchs und seinen Folgen versuchte man in diesem Verein entgegenzuwirken.
Interessant und erwähnenswert ist es, dass im Jahr 1910 der Pfarrer von Oberweid sich mit den Carl-Zeiss-Werken in Jena in Verbindung gesetzt hatte, um eine Filiale nach unserem Ort zu bekommen, was für viele Arbeit und Brot bedeutet hätte. Aber auch daraus ist leider nichts geworden. Arbeit war rar und so gingen viele Oberweider ins Rheinland als so genannte „Westfalengänger“. Um die zurückgebliebenen Familien sorgten sich Frauenverein und Kirchgemeinde.
Der 1. Weltkrieg brachte für die Bevölkerung und die Kirchgemeinde Leid und Verlust. Viele Männer kamen nicht mehr zurück, eine Gefallenentafel zeugt davon in unserer Kirche. Die Kirchgemeinde musste zwei von ihren drei bronzenen Kirchenglocken zum Gießen von Kanonen abliefern.
Die Weimarer Republik und die lnflationszeit beeinflussten das Leben der Oberweider Bevölkerung und der Kirchgemeinde wie überall... Doch gegen Ende der 20-iger Jahre überschatten die Auseinandersetzungen zwischen den Kommunisten und dem stärkerwerdenden Nationalsozialismus die ganze Dorfatmosphäre (Bericht vom Feuerüberfall auf das RAD - Lager auf dem Ellenbogen).
Mit dem Sieg des Nationalsozialismus veränderte sich das kirchliche Leben in unserem Ort. Teilweise erfasst von der so genannten „Nationalen Revolution“ gab es nicht wenige Oberweider Kirchenglieder, die dem „Deutschen Christentum“ begeistert anhingen. Sie war eine NSDAP- nahe „Reichschristliche Bewegung“, die von Oberweid aus auch in Tann und Gersfeld Fuß griff. Erst das Jahr 1939 brachte einen einschneidenden Wandel, als die Nationalsozialisten eine antikirchliche Richtung einschlugen.  Eine Kirchenaustrittsbewegung wurde initiiert, der die Pfarrer aus SA und Partei ausschlossen, die Lehrer legten ihre kirchlichen Ämter als Chorleiter und Organisten nieder, Gottesdienstbesucher wurden registriert, Versammlungen auf die Gottesdienstzeiten gelegt u.v.m.. Aber kirchliches Leben ging weiter. Als Organist und Chorleiter fand sich ein treues Gemeindemitglied, christliche Unterweisung wurde in Christenlehre und Konfirmandenunterricht weiter gehalten. Die meisten Oberweider ließen ihre Kirche nicht im Stich.
Es begann der 2. Weltkrieg. Die Kirche begleitete die Menschen in dieser schweren Zeit. Der Krieg kam aber auch nach Oberweid. 1944 stürzte ein englischer Bomber in der Nähe ab. Zwei Soldaten überlebten, fünf waren tot. Die Parteileute verweigerten dem Pfarrer eine christliche  Bestattung auf dem hiesigen Friedhof. Sie wurden von den Gemeindearbeitern einfach beigesetzt.
Als am 1. 4. 1945 die weiße Fahne auf dem Kirchturm wehte, war für Oberweid der Krieg zu Ende. Der Ort blieb von Zerstörung verschont. Nach den Krieg und der Besatzung der Amerikaner und Belgier, sowie später der Sowjets, brachte die allgemeine Unsicherheit und Ratlosigkeit der Menschen eine stärkere Besinnung auf ihren Gott und ihre Kirche. Schon 1946 musste von der männlichen Oberweider Bevölkerung eine Schneise entlang der Zonengrenze in den Wald geschlagen werden. Die Grenze, die über vier Jahrzehnte das Leben der Menschen hier bestimmen sollte, zeigte schon ihre ersten Konturen. Aber an ihrer Kirche und dem kirchlichen Leben haben die meisten Oberweider festgehalten  und werden es, so Gott will, auch weiter tun.

Rüdiger Stephan - Pfarrer

© Festschrift der Gemeinde Oberweid zur 1200-Jahrfeier von Oberweid im Jahre 1995.

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